FOTO: KIÊN HÓNG LÉ
Brotbitte im „Vaterunser“: Nahrung für Leib und Seele
Warum die Brotbitte im Vaterunser-Gebet existenziell für unser Leben und eine wichtige Haltung ist, sagt der Kapuziner, Priester und ehemalige Bäcker Marinus Parzinger aus Altötting.
Das Vaterunser ist das meistgesprochene Gebet der Christen. Und genau durch die häufige Wiederholung in Gefahr, gedankenlos hergeleiert zu werden. Dabei sind die Bitten und vor allem die Brotbitte existenziell für unser Leben.
Der östliche Mittelmeerraum ist, so hörte ich kürzlich, nicht nur die Geburtsstätte der Religionen, sondern auch Ursprungsort des Brotbackens. Da horchte ich als ehemaliger Bäcker auf. Von dieser Tatsache ausgehend wird der Gedanke einsichtig, dass Brot in den Religionen eine große Rolle spielt, ja zum Sinnbild von gutem Leben wurde. Brot ist das Symbol für all das, was wir zum Leben brauchen, an jedem neuen Tag. Bei der Gabenbereitung der Eucharistiefeier betet der Priester: Gott, „du schenkst uns Brot, die Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit“. Mensch und Gott wirken zusammen bei dem, was Leben nährt.
Mein Lehrmeister in der Bäckerei sagt öfter: Brot scheucht Not! – Recht hat er! Ein Stück Brot, geteilt unter Menschen, stillt Hunger, nimmt Sorgen weg, verbindet, tut einfach gut.
Jesus nimmt die leibliche Dimension des Menschen ganz ernst. Zentrale Ursachen menschlicher Unzufriedenheit, Aggression und Gewaltausbrüche ist oftmals Hunger, materielle Not und unsolidarisches Verhalten. Brot ist gleichermaßen wichtig für Leib und Seele. Wir sagen, dass der Mensch nicht nur vom Brot lebt. Aber er lebt hier und jetzt zunächst vom Brot. In vielerlei Hinsicht sind wir Menschen unersättlich, von Mangel getrieben und auf der Suche nach Heilung, Glück, Frieden.
Hunger, das heißt Mangel spüren, macht uns Menschen erst wieder fähig, das Gute zu genießen. Das Schlaraffenland würde uns nicht gut tun.
Vertrauen lernen
Hätten wir unbegrenzte Möglichkeiten, müssten wir nicht bitten. Wir können nicht alles machen oder selber herstellen. Wir sind zutiefst Beschenkte. „Der Mensch lebt nicht vom Brot der Machbarkeit allein, er lebt als Mensch, und gerade in dem Eigentlichen seines Menschseins vom Wort, von der Liebe, vom Sinn.“ (Joseph Ratzinger)
Um Brot bitten diejenigen, die um ihre Bedürftigkeit wissen. Um Brot bitten heißt: Sorge tragen für die Schöpfung und das Leben. Um Brot bitten nimmt Schwester und Bruder in den Blick und schließt die Bereitschaft zum Teilen ein. Um Brot bitten wird zur Haltung: Ich baue mein Leben auf den, der reichlich schenkt. Und ich teile mit jenen, die aufgrund von Not und Brot-Losigkeit keine Hoffnung haben. Wer um Brot bittet, dessen Herz darf nicht verschlossen und hart bleiben.
Wer um das tägliche Brot betet, der nimmt Maß an Jesus, der geht den Weg des Vertrauens und erlaubt Gott, Brotvater zu werden. Die Bibel erinnert uns daran, wie Jahwe das Bundesvolk in der Wüste beim täglichen Kampf ums Überleben durchgebracht und ins Gelobte Land geführt hat. Gott geht mit und sorgt für sein Volk.
Gottes Sorge und Menschen-Sorge
Brot ist Frucht der Erde und der menschlichen Arbeit. Betend machen wir uns die Sorge Gottes des Vaters zu Eigen, der allen Menschen das Lebensnotwendige verheißt. Wir dürfen einander in Lebens- und Überlebensnot nicht allein lassen. Wenn wir beten, bekennen wir zugleich, dass wir in unserer Verantwortung oft genug scheitern.
Verantwortung übernehmen – Nächstenliebe üben
Jesus warnt vor aller „falschen Zukunftsorientierung aus Mangel an Vertrauen. Wir haben die Zukunft nicht in der Hand. Mit Zuversicht sollen wir bitten, dass Gott uns gibt, was wir täglich zum Leben brauchen.“ (P. Peter Köster SJ)
Wo Vertrauen fehlt, beginnen Menschen, Dinge anzuhäufen, sich damit abzusichern, sie horten und hamstern. Wo Überfluss ist, stumpfen Menschen ab und werden träge. Wir wissen, dass die Mehrheit der Menschen in erbarmungswürdigen Verhältnissen leben muss: Armut, Hunger, Flucht, Vertreibung kennzeichnen ihre Situation. Die Notleidenden auf die Sorge Gottes zu verweisen und selber nichts zu tun, wäre zynisch. Beten und gleichzeitig im Übermaß konsumieren ist verwerflich. Glaubhaft können wir diese Bitte nur sprechen, wenn wir Verantwortung übernehmen und Nächstenliebe üben, indem wir teilen und Gerechtigkeit üben.
Hoffnungsvoll bitten für heute
„Unser Brot, das notwendige, gib uns heute!“ Wir bitten nicht darum, dass wir für lange Zeit abgesichert sind, sondern dass wir heute leben können. Jesus ermutigt zum Vertrauen: „Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen.“ (Mt 6,34)
Der Beter hält die Hände auf. Es ist die Haltung eines Menschen, der etwas erwartet und sich beschenken lässt. Das Reich Gottes, das Jesus verkündet hat, ist keine Vertröstung, die über hungernde und notleidende Menschen hinweggeht. Gerade zu ihnen wusste sich Jesus gesandt. Seine Haltung ist wegweisend und fordert zum Handeln auf. Die Bitte an Gott um das tägliche Brot verpflichtet uns, das uns Mögliche zu tun. Ohne die Tat oder zumindest den Versuch hat das Beten nur Alibi-Funktion. Dazu gehört sicher auch das persönliche Maßhalten, ein einfacher, nachhaltiger Lebensstil, kleinere Brötchen backen.
Ein Stück Brot ist für mich etwas Kostbares. Das mache ich mir bewusst, wenn ich nach alten Brauch einen Wecken Brot mit drei Kreuzzeichen segne, ehe ich ihn anschneide.
Der Beitrag von Br. Marinus Parzinger ist zuerst in der Münchner Kirchenzeitung erschienen.