Standpunkte

FOTO: KAPUZINER/RAUSER

BR. Jeremias Borgards

ist Kran­ken­pfle­ger und Pries­ter. Der Kapu­zi­ner lebt zur­zeit im inter­na­tio­na­len Kon­vent in León am fran­zö­si­schen Jakobs­weg in Spanien.

1. Juli 2021

Kirchenasyl: Die Würde zurückgeben

Viel wird in die­sen Tagen über Kir­chen­asyl dis­ku­tiert. Br. Jere­mi­as Bor­gards posi­tio­niert sich klar: Christ*innen erfül­len mit dem Gewäh­ren von Kir­chen­asyl in spe­zi­el­len Fäl­len die Anfor­de­run­gen Jesu. Es ist ele­men­ta­rer Teil der kirch­li­chen Pra­xis von Soli­da­ri­tät mit Armen und Unterdrückten.

Ein Vater flieht aus Syri­en. Er flieht mit sei­nen zwei gera­de voll­jäh­ri­gen Töch­tern vor Daesh, der Ter­ror­grup­pe, die bei uns als Isla­mi­scher Staat bekannt ist. Er lässt sei­ne Frau und den jün­ge­ren Sohn zurück, um die bei­den Töch­ter vor Ver­ge­wal­ti­gung und Ver­schlep­pung zu schüt­zen. Es ist eine unend­lich schwe­re Ent­schei­dung. Aber er geht davon aus, dass sei­ne Frau nicht ver­ge­wal­tigt und sein jun­ger Sohn zu die­sem Zeit­punkt noch nicht zum Mili­tär oder zu Daesh rekru­tiert wird.

Er flieht und kommt mit sei­nen Töch­tern nach Ungarn. Dort wird er mit sei­nen Töch­tern ins Gefäng­nis gesteckt. Es geschieht genau das, was der Grund für ihre Flucht war: die Töch­ter wer­den ver­ge­wal­tigt. Im Gefäng­nis, zu dem nur die Wär­ter Zugang haben. Anschlie­ßend flie­hen die drei nach die­sen qual­vol­len Erfah­run­gen des Miss­brauchs nach Deutsch­land. Und dort? Sie erhal­ten kei­ne Hil­fe, im Gegen­teil. Auf­grund der Dub­lin-Ver­ord­nung will sie der deut­sche Staat wie­der nach Ungarn, in das Land ihrer Ver­ge­wal­ti­ger, rückführen!

Die­se Geschich­te ist so pas­siert. Und sie ist ein ganz kon­kre­tes Bei­spiel für einen Fall, der zu einem Kir­chen­asyl führte.

Genau hier setzt die Idee des Kir­chen­asyls an: Die Kir­che hilft Men­schen, denen durch offi­zi­el­le, aber in die­sem spe­zi­el­len Fall unmensch­li­che Gesetz­ge­bung, ihre Wür­de geraubt zu wer­den droht. Kir­chen­asyl hilft dabei nicht nur den betrof­fe­nen Men­schen, son­dern auch dem Staat, in dem es ver­hin­dert, dass die Anwen­dung rechts­staat­li­cher Mit­tel wie in die­sem Fall zu direk­ten oder indi­rek­ten Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen durch den Staat führt. Es geht dar­um, den Arti­kel 3 der Euro­päi­schen Men­schen­rechts­kon­ven­ti­on EMRK („Jeder Mensch hat das Recht auf Leben, Frei­heit und Sicher­heit der Per­son) zu wahren.

In der Spra­che der Gerich­te wer­den die­se Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, und wir reden hier nur von sol­chen, die inner­halb der Gren­zen der Euro­päi­schen Uni­on gesche­hen, meist als sys­te­mi­sche Män­gel bezeich­net. Es gibt dazu ver­schie­de­ne Urtei­le, die nicht nur Ungarn, son­dern auch ande­re EU-Län­der betref­fen. So geht das BVerfG in sei­nem Urteil vom 10. Okto­ber 2019 zum Bei­spiel davon aus, dass die Unter­brin­gung von Fami­li­en in Ita­li­en „im Ent­schei­dungs­zeit­raum mög­li­cher­wei­se von sys­te­mi­schen Män­geln geprägt war“. Und im Leit­satz des VGH Hes­sen steht zum Beschluss vom 24. August 2017: „Das unga­ri­sche Asyl­ver­fah­ren und die Auf­nah­me­be­din­gun­gen lei­den der­zeit an sys­te­mi­schen Män­geln.“ Von den Gerich­ten wer­den u. a. immer wie­der im Zusam­men­hang mit sys­te­mi­schen Män­geln die Län­der Ita­li­en, Ungarn, Bul­ga­ri­en und Rumä­ni­en genannt. Zum „Stö­bern“ emp­fiehlt sich hier die Inter­net­sei­te https://www.asyl.net/laender.

Laut EMRK und für mich als Christ steht fest: Es darf nie­mand in eine unmensch­li­che oder ernied­ri­gen­de Behand­lung rück­über­führt wer­den! Im Nor­mal­fall wird Men­schen Kir­chen­asyl gewährt, die durch die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land und ihre Behör­den genau in eine sol­che Situa­ti­on rück­über­führt wer­den sollen.

Kir­chen­asyl ist eine Form des Men­schen­rechts­schut­zes. Es ist ein Teil der kirch­li­chen Pra­xis von Soli­da­ri­tät und Opti­on für die Armen. Anders gesagt: Kir­chen­asyl ist Teil der Posi­tio­nie­rung gegen glo­ba­le Unge­rech­tig­keit, des pro­phe­ti­schen sowie öffent­li­chen und zei­chen­haf­ten Han­delns und des mes­sia­ni­schen Geset­zes­ver­ständ­nis­ses (sehr gut nach­zu­le­sen in: Fünf The­sen zur poli­tisch-theo­lo­gi­schen Grund­le­gung des Kir­chen­asyls, B. Kern, Müns­ter 2018, und auch in: Kir­chen­asyl als Men­schen­rechts­schutz, J. Lis, Müns­ter 2016).

Christ*innen erfül­len mit dem Gewäh­ren von Kir­chen­asyl in die­sen spe­zi­el­len Fäl­len die Anfor­de­run­gen Jesu, die sich aus sei­nen Wor­ten vom Welt­ge­richt im Mat­thä­us­evan­ge­li­um (25.31–46) erge­ben. Der Text ist eine Auf­for­de­rung, denen ihre Wür­de durch mensch­li­che Zuwen­dung wie­der­zu­ge­ben oder zu bewah­ren, denen sie von ande­ren oder wid­ri­gen Umstän­den geraubt wur­de oder geraubt wer­den könnte.

Kir­chen­asyl ist schon aus dem Alten Tes­ta­ment bekannt. Zwar hat es sich immer wie­der im Lau­fe der Zeit ver­än­dert, doch eines bleibt: die Sor­ge, in die­sem Fal­le der Christ*innen, um die Auf­recht­erhal­tung oder Wie­der­her­stel­lung der Wür­de lei­den­der oder unge­recht behan­del­ter Menschen.

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